(1.2) Waldlochbabis Drachen im Chällerflüeli
Im Waldloch, im Attiswiler Berg, hauste einst das Waldlochbabi mit seinem bösen Hund. In dieser Höhle wohnte vor uralter Zeit ein Drache.
Dieses Untier holte den Attiswilern nicht nur fette Gänse, Geissen und Schafe von den Weiden, nein es jagte auch nach Kindern. Auf junge Mädchen hatte es besonders Lust. In der Finsternis schlich es ins Dorf und passte an den Hausecken den Menschen ab.
Die vermögenden Bauern liessen am Ende der Dachtraufe einen Drachenkopf als Wasserspeier installieren; dieses blecherne Ebenbild hatte die Aufgabe, das aufsässige Untier von Haus und Heim zu vertreiben.
Das Waldlochbabi fand aber in seiner Höhle keine Ruhe. Eines Tages segelte sein Geist schnurstracks gegen das Drachenloch im Attiswiler Berg. Der Bewohner wollte aber sein Daheim nicht teilen und wehrte sich mit Zähnen, Klauen und Zacken gegen den Eindringling. Doch Babis Hund ging ihm an die Gurgel und Babi traf ihn mit seinem Stock auf die empfindliche Nase. Das Ungeheur ergab sich und machte sich geschlagen davon Richtung Reckenacher. Es wusste dort im Chällerflüeli eine Höhle. Hier pflegte es seine Wunden, erholte sich langsam und sann auf Rache.
Doch bevor es wieder sein Unwesen treiben konnte, erschütterte ein Erdbeben die Jurahöhen und ein riesiger Felsbrocken fiel vor die Drachenhöhle. Heulend und schnaubend versuchte der Eingeschlossene die mächtigen Steinbrocken zu bewegen, diese rutschten jedoch keinen Zentimeter beiseite.
Der Drache war und blieb eingesperrt!
Niemand freute sich über diese glückliche Fügung mehr als die geplagten Leute von Attiswil, Farnern und Rumisberg. Jetzt durften die Kinder wieder ohne Angst auf den Gassen spielen und in den Wäldern nach Beeren suchen.
Das Chällerflüeli erreicht man, von der Nordseite des Reckenachers herkommend, wenn man den „Schleipf“ hinaufgeht. Der Eingang zum Drachenloch ist – gottlob – immer noch durch einen Felsbrocken verschlossen. Aus der Tiefe weht es auch bei der grössten Sommerhitze kalt und modrig herauf. Diese Kälte kommt vom Drachen, der hier im Finstern hockt und heult, weil er sich nicht befreien kann.
Quelle: „Flueblüemli und Aarechisle“, Elisabeth Pfluger, Solothurn
Geschrieben am 22. November 2021